Graffiti-Touristen zieht es nach Wien

Die Graffiti-Szene hat in den vergangenen Jahren stark zugenommen – Sprayer aus Europa kennen Wien-Heiligenstadt.
Richard G. ist mit den Szeneausdrücken bestens vertraut: Graffiti, Scratchen, Tags. Besonders viel Arbeit verursacht ihm dabei das Scratchen: „Dabei werden die Fenster mit Schmirgelpapier zerkratzt oder mit Säure verätzt. Da kann man nur noch das Fenster austauschen“, sagt der stämmige Mann, zuständig für die Abteilung Graffiti und Videoauswertung der Wiener Linien.
Seit mehr als zehn Jahren dokumentiert der „Graffiti-Jäger“ Richard G. die Schäden durch illegale Graffitis an den Stationen und Zügen der Wiener Linien – über 50.000 Fotos beinhaltet seine Mappe. Besonders viele Bilder stammen dabei vom Bahnhof Wien-Heiligenstadt, der als Topspot der Sprayer gilt – und nicht nur für die Einheimischen.
„65 bis 70 Prozent der Sprayer, die nach Heiligenstadt kommen, sind Ausländer. Vor allem Deutsche und Osteuropäer, aber auch Leute aus Spanien und New York haben wir schon erwischt“, sagt der Graffiti-Jäger.
Das Szene-Buch „International Topsprayers“ des deutschen „Publikat“-Verlags bestätigt diesen Trend: „Wien-Heiligenstadt war in den vergangenen Jahren neben Bukarest, Mailand und Neapel einer der meistbesuchten Spots in Europa“, heißt es dort. Das Hauptziel der Sprayer sind dabei die Züge, da sie die höchste Sichtbarkeit für die Graffitis garantieren. „Aber natürlich hinterlassen sie auch Kollateralschäden an den Gleisen und den Wänden“, sagt Richard G.
Reinigungskosten
Der Schaden durch die illegalen Werke ist in jedem Fall enorm: Einen Waggon zu reinigen, kostet zwischen 500 und 4500 Euro. 220.000 Euro Schaden zählten die Wiener Linien 2010 – alleine für die Graffitis auf der Außenhaut der Züge. Bis Juli waren es bereits rund 60.000 Euro. Bei den ÖBB beziffert man den Schaden in diesem Jahr auf 160.000 Euro.
International verläuft auch die Fahndung nach den Sprayern. Um ihnen habhaft zu werden, vergleichen die Wiener Linien die Fotos in der Mappe von Richard G. regelmäßig mit jenen der deutschen Polizei. „Die Täter hinterlassen immer ein sogenanntes Tag, also ihren Künstlernamen. Daran und am Stil kann man den Sprayern weitere Taten nachweisen“, sagt Dominik Gries von den Wiener Linien.
Lebensgefahr
Das Beschmieren der Züge an den Bahnhöfen birgt aber auch weitere Gefahren: „Die Stromschienen führen 750 Volt und die Züge fahren ja auch in der Nacht“, warnt Richard G. die Sprayer. Dass es noch zu keinen Unfällen gekommen ist, erklärt er sich mit der Erfahrung der „Künstler“: „Die Sprayer-Touristen sind meistens älter und erfahren. Gefährlich wird es bei jüngeren Nachahmern.“
Ganz unschuldig sind die Wiener Linien an dieser Entwicklung freilich nicht. Denn obschon beschmierte Züge nicht aus den Stationen ausfahren, um keine Nachahmer auf den Plan zu rufen, sollen manche Aussagen der Wiener Linien doch Öl ins Feuer gegossen haben.
So heißt es etwa in dem Graffiti-Buch „International Topsprayers“: „Ein U-Bahn-Betreiber, der im Fernsehen zugibt, dass Buffen (Löschen der Graffitis) günstiger ist als das Bewachen der Abstellanlagen, darf sich über steigende Besucherzahlen nicht ärgern.“ Bei den Wiener Linien bezweifelt man die Authentizität des Zitats und verweist auf die verstärkte Videoüberwachung. Richard G. bleibt unterdessen der einzige Graffiti-Jäger der Wiener Linien.“
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