Das europaweit einmalige Konzept namens „Wiener Wand“ erlaubt legales Sprayen, eine kleine illegale Szene gibt es dennoch.
Er wolle nicht, dass Hauswände in seinem Viertel besprüht werden, erzählt ein illegaler Wiener Graffitisprüher dem STANDARD. Er selbst verspricht sich Freiheit und Adrenalin von seiner nächtlichen Aktivität.
Wien – „Du musst halt berühmt werden im Leben, dann hast du’s geschafft“, meinte neulich eine Arbeitskollegin zu Thomas K. „Eigentlich bin ich das schon“, dachte er sich. Nur gesagt hat er es nicht – denn Thomas K. ist illegaler Graffitisprüher. Nachts, wenn die meisten Leute tief und fest schlafen, zieht er durch Wien und hinterlässt seinen Schriftzug auf Hausfassaden, Brücken und Zügen. Sein bürgerliches Umfeld hat davon keine Ahnung.
Seit mehr als zehn Jahren ist der Sprüher aktiv – und nimmt auch einiges für seine Leidenschaft in Kauf. Stress mit Freundin und Familie sind da noch die geringsten Übel. Den Risiken von polizeilicher Verfolgung über drohende Geldstrafen im fünfstelligen Bereich bis hin zum psychischen Druck, die illegale Identität geheim halten zu müssen, ist er sich dabei durchaus bewusst.
Und dennoch wartet Thomas K. nachts im tiefsten Winter bis zu fünf Stunden an Abstellanlagen und studiert penibel Videoüberwachung und Patrouillenwege der Wachen, läuft an 700 Volt starken Stromleitungen vorbei, nur um schließlich für zehn Minuten seinen Schriftzug an einem U-Bahn-Zug anbringen zu können.
Freiheit und Adrenalin verspricht sich Thomas K. vom Sprühen, doch wirklich rational erklären kann er sich seine Leidenschaft, die abgesehen vom Ruhm innerhalb der Szene nur gesellschaftliche Ächtung bringt, nicht wirklich.
Versteck in den Büschen
Für Richard S. bleiben die Motive der Sprüher ebenso im Unklaren. Seit 18 Jahren informiert sich der Graffitibeauftragte der Wiener Linien über die Szene. Ein normaler Bürojob von neun bis sechs ist das nicht: In Büschen versteckt lauert er nachts auf Sprayer, fotografiert jedes neue Graffiti an der U-Bahn-Strecke und ist meist schon am Arbeiten, bevor selbst bei hartgesottenen Frühaufstehern der Wecker klingelt.
Seiner Meinung nach ist der einzige Weg zur Bekämpfung der illegalen Szene eine rigide Nulltoleranzstrategie. „Wenn einer mit Strumpfmaske ankommt, Türen aufbricht und Werkstattbedienstete mit der Faust niederschlägt, dann ist das ein reiner Vandalenakt!“, meint Richard S. Erwischten Sprühern verrechnen die Wiener Linien pro besprühten U-Bahn-Zug bis zu 3000 Euro an Reinigungskosten. Wiederholungstäter sind dadurch oft jahrelang hochverschuldet.
Im Vergleich zu anderen europäischen Großstädten wie Berlin und Paris sind Graffiti in Wien ein marginales Problem. Der jährliche Schaden der Wiener Linien von 200.000 Euro aufgrund besprühter Züge wird nur zu 20 Prozent von ortsansässigen Sprühern verursacht. Der erhebliche Großteil stammt von Graffititouristen aus EU-Ländern. Der harte Kern der illegalen Wiener Graffitiszene, also die, die täglich mit der Sprühdose losziehen, besteht aus circa einem Dutzend Sprühern.
Dass die illegale Szene so überschaubar bleibt, dafür ist unter anderem selbst ein Sprüher verantwortlich, nämlich Skero. Lange bevor er als Rapper mit dem Hit Kabinenparty österreichweit bekannt wurde, entdeckte Skero seine Leidenschaft für Graffiti. 1989 hat der 39-Jährige einen Zeitungsbericht über den ersten besprühten Zug in München in die Hände bekommen und ist prompt per Autostopp in die bayerische Landeshauptstadt gereist. Seitdem hat ihn das Graffitifieber gepackt und nicht mehr losgelassen.
Der Malereistudent wurde von einem pensionierten Beamten gebeten, ein Konzept auszuarbeiten, wie man legale Wandflächen für Sprüher im Stadtbild einarbeiten kann. Das europaweit einmalige Konzept namens „Wiener Wand“ wurde schließlich von der Stadt Wien genehmigt. Es gibt Sprühern an acht Plätzen die Möglichkeit, im legalen Rahmen zu sprühen. „Das muss in ’ner Großstadt schon drin sein“, findet Skero.
Sprüher wie Thomas K. werden trotzdem weiter illegal ihre Namen in Wien verbreiten. Verständnis hat er trotzdem, dass die Öffentlichkeit auf seine nächtlichen Streifzüge verärgert reagiert: „Ich will ja auch nicht, dass die Hauswände in meinem Viertel total zugeschmiert sind.“ (Fabian Kretschmer / DER STANDARD, Printausgabe, 30.12.2011)
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